Michel Ruge | Bordsteinkönig

"Meine wilde Jugend auf St. Pauli" - So lautet der Untertitel. Da ich ein Buch kaufen musste, entschied ich mich für dieses.
Schon nach 3 Tagen kam mal wieder nachts nichts im Fernsehen und so fing ich um 1 an zu lesen um einzuschlafen.
Ein harmloses Taschenbuch mit einer Geschichte die in Hamburg auf St.Pauli spielte.

Aber es kam alles anders.
Genau wie man manchmal in seine Stammkneipe geht mit dem Gefühl - "heute wirds eh langweilig, ich bleib nur auf 1,2 Bier"
und auf einmal hört man den Wirt sagen: "Ihr müsst nicht nach Hause gehen, aber hier müsst ihr raus."
Man schaut sich um und merkt, man war eigentlich die ganze Zeit nur mit einem Menschen im Gespräch und hat vom Rest der Welt
nichts mitbekommen und der Blick auf die Uhr sagt das man beim Nachhausegehen gleich Brötchen mitnehmen kann.

Beim Lesen habe ich natürlich schon gemerkt, dass ich das Buch nicht weglegen kann und das es immer später wird.
Bei Seite 140 hab ich durch Hochrechnen eruiert, dass es bis halb zehn dauern würde, bis ich das Buch ausgelesen hätte.
Es ist nun nicht so dass Kampfsport eines meiner Lieblingsthemen wäre und irgendwie störte ich mich auch etwas dran
dass die Erlebnisse des kleinen Jungen teilweise mit den Reflexionen eines Erwachsenen erzählt wurden,
aber ich wollte wissen wie es weitergeht, was noch so passiert und wie das wohl alles endet.
Anders als in der aktuellen Werbung für Kinderschokolade, wo Kinder so altkluge Sätze sagen wie "Zeit die Perspektive zu wechseln"
und ähnliche Phrasen die Kinder nie verwenden würden, war ich bereit das in dem Buch hinzunehmen.

Das Gefühl, das im ganzen Buch zwischen den Zeilen anwesend ist,
die Faszination am Andersartigen als dem "Normalem", das ewig Suchende -
das vielleicht mit Sankt Pauli, immer aber mit einem Selber zu tun hat-
das ist mir so vertraut wie dem Autor und deshalb wollte ich weiterlesen.

Das Schlimme am Suchen ist ja das Nichtwissen wonach man im Leben sucht. Worum es eigentlich geht.
Aber es ist genauso schlimm, wenn man denkt, man wüsste es und es sich irgendwie als falsch erweist.
Am Ende kann einen die eigene Sehnsucht zerstören, wenn sie sich als Irrweg erweist oder als das was sie ist, ein unerfüllbarer Traum.
Wie soll man aber adäquat mit dieser Sehnsucht umgehen?
Warum leiden einige Menschen darunter und andere scheinen das Gefühl nicht einmal zu kennen?
Warum können sich einige Menschen mit dem Gefühl arrangieren und andere zerreist es förmlich von innen?
Natürlich steht auch in diesem Buch keine Lösung, aber das war ja auch nicht zu erwarten.

Man kann geteilter Meinung sein, ob man ein Buch empfehlen sollte, das in weiten Teilen gewaltverherrlichend ist,
wo Kriminalität, Millieu und fehlende elterliche Fürsorge als "normal" dargestellt werden, in dem der Autor quasi
damit prahlt anderen Menschen Gewalt angetan oder Angst eingejagt zu haben, aber der Kauf eines Buches ist ja keine
Belohnung für ein sozial verträgliches Vorleben des Autors.

Es heisst: "Ein Buch kann jede/r schreiben. Eine Geschichte hat jeder Mensch, die er anderen erzählen könnte."
Diesem Buch merkt man an, dass es rauswollte. Es ist eine Geschichte über dieses komische Gefühl, das einen als Mensch jeden Alters,
besonders aber natürlich als Kind, wenn gerade alles "Premiere" ist, gerne mal überfordern kann: Sehnsucht nach Irgendetwas.

Fazit: Pass auf, was du dir wünscht. Es könnte in Erfüllung gehen
und nichts ist schlimmer als wenn man dann merkt, dass einen das nicht glücklich macht.


gelesen 10.02.2013
   
                   
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